12.04.2011
Wir müssen weniger Energie verbrauchen

Der drohende GAU in der japanischen Atomanlage Fukushima I hat die Fragen der Atomenergie mit neuer Brisanz auf die Tagesordnung gebracht. Harald Krille sprach darüber mit Hans Joachim Döring, Umweltbeauftragter der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

Atomkatastrophe in Japan – fühlt sich ein Umweltbeauftragter der Kirche in seinen Warnungen bestätigt? Döring: Diese Bestätigung brauche ich wirklich nicht. Die Warnungen hatten und haben ja keinen Selbstzweck. Sie speisen sich aus der Ehrfurcht vor dem Leben und der Verantwortung vor Gott. Trauer um die Opfer habe ich und Solidarität mit den Verunsicherten und Verstrahlten. Hinzu kommen Beschämung und mitunter Wut, weil gute Argumente und kritische Szenarien nur sehr eingeschränkt Einfluss auf notwendige Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Lebensweise haben. Die gleichen Fakten und Argumente, die heute plötzlich die Tagespolitik bestimmen, wur­den vor 30 Jahren als »prophetistischer Katastrophalismus«, als »Schwarzseherei« und noch vor drei Monaten als Elemente einer »Immer-und-gegen-alles-Gesellschaft« verunglimpft. Jetzt steht die Schrift überdeutlich an der Wand.

Nach Tschernobyl war schnell von den Russen und ihrer veralteten Technik die Rede – jetzt trifft es eine High-Tech-Nation. Ist Kernkraft prinzipiell nicht beherrschbar?

Döring: In Tschernobyl war nicht primär die Technik das Problem, sondern der Mensch. Im höchsttechnologisierten japanischen Fukushima reichten Risikoannahmen und Schutzpläne nicht aus. Ich frage, wenn nicht da, wo sonst sollte Beherrschbarkeit möglich sein? Die Komplexität der gigantischen Energiefreisetzungen übersteigt das Maß des Menschen und seine Regel- wie Verantwortungssysteme. Hinzu kommt die ungeklärte Atommüllfrage, deren Lösung wir auf unsere Kinder und Enkel abschieben. 1986, unmittelbar nach dem Super-GAU in Tschernobyl, schrieb der damalige Wittenberger Friedenskreis an den Staatsrat der DDR‚ es sei die Verantwortung der hochentwickelten Industrieländer, aus der Kernenergie auszusteigen und dadurch der Welt zu zeigen, dass es möglich ist, auf diese Form der Energiegewinnung zu verzichten. Es schmerzt, dass 25 Jahre für umfassende alternative Beispiele verloren gegangen sind.

Weltweit sind 442 Atomkraftwerke (inkl. der japanischen) in Betrieb, weitere 64 in Bau – wird die Katastrophe von Fukushima das Bewusstsein verändern?
Döring: Das gesamte Bewusstsein der Welt ändert sich gewiss nicht. Aber vielleicht hält sich bei Entscheidungsträgern wie Wahlbürgern eine Skepsis gegen die atomaren Lösungen. Und vielleicht wächst oder erneuert sich eine vielschichtige und dezentrale Such-, Neugier- und Ehrfurchtsbewegung, die uns die Augen öffnet für das, was schon möglich ist. Wir haben kein Erkenntnis-, wir haben ein Handlungs-, Regel- und Umsetzungsdefizit.

Immer wieder ist von der Kernenergie als derzeit noch unaufgebbarer Brückentechnologie die Rede – brauchen wir sie nicht noch auf absehbare Zeit?

Döring: Kernenergie ist inzwischen keine unaufgebbare Brückentechnologie, sondern eine Verstopfungstechnologie. Sie verhindert dank ihres »billigen« Stromes, dass die besten alternativen Konzepte erneuerbarer Energie flächendeckend, ökonomisch, dezentral und dauerlastfähig konkurrenzfähig werden. Diverse Sachverständigenräte der Bundesregierung oder des Dessauer Umweltbundesamtes – nicht nur von Öko-Instituten – halten eine weitgehend vollständige Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen in weniger als einer Generation für möglich. Zum Konzept gehört freilich: Wir müssen deutlich weniger Energie verbrauchen. Beim Einsparen hinken die Bürger der Industrie hinterher. Dort ist der Kostendruck schon höher.

Was würde ein schneller Ausstieg für uns alle und unseren Lebensstil bedeuten?
Döring: Ein schnell möglicher Ausstieg ist für mich der alte rot-grüne Ausstiegskompromiss – gemeinsam mit der Wirtschaft. Also AKW-Laufzeiten bis maximal 2020. Freilich sind deutliche Steigerungen der Energiepreise, nicht nur für Wohnungswärme, auch für Mobilität oder als Anteil in den Produkten des täglichen und nicht so täglichen Bedarfs zu erwarten. Dies wird gern – zumal von der Energiewirtschaft – als Bedrohung des Abendlandes beschrieben. Dem ist nicht so! Zwei Tendenzen stehen dagegen: Zum einen die steigende Energie- und Rohstoffproduktivität in den jeweiligen Produkten. Das heißt, es kann mit weniger mehr hergestellt werden. Zum anderen die schon erwähnten Einsparpotenziale. Wenn der Gaspreis um zehn Prozent steigt, ich aber 20 Prozent weniger verbrauche, habe ich zehn Prozent gespart beziehungsweise als Reserve für Sparinvestitionen. Trotzdem darf nicht drumherumgeredet werden: Bis zum technologischen und damit ökonomischen Durchbruch bei den erneuerbaren Energien – die auch Nachteile haben – werden unsere Aufwendungen für Energie wachsen.

Was kann, was sollte der Einzelne jetzt tun?
Döring: Der Einzelne kann erstaunlich viel tun. Wir in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) sollten unsere Kampagne »Klimawandel – Lebenswandel« ernst nehmen und umsetzen. Zum Beispiel könnte die Junge Gemeinde sich beim Frauenkreis einladen und bitten, übers Einsparen nach dem Krieg, in der DDR und heute zu reden. Die Welt war nicht besser, als noch gestopft wurde, aber weniger Energie wurde schon verbraucht.

Was kann und sollte die Kirche selbst tun?
Döring: Zum Beispiel, was die soeben beendete Frühjahrssynode der EKM einstimmig beschloss: »Die Landessynode bittet die Kirchengemeinden, Kirchenkreise und das Landeskirchenamt um verstärkte Bemühungen zur Bereitstellung und Nutzung kirchlicher Grundstücke und Gebäude für Investitionen in erneuerbare Energien.«

Interview aus "Glaube + Heimat" vom 26. März 2011